Welcher Mathelehrer in der Sekundar- und Oberstufe hat diese Frage nicht tausend mal gehört: „Warum muss ich das lernen?“ „Wozu ist das gut, wenn ich doch nichts mit Technik studieren will?“ Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass auch du deinem Lehrer oder deinen Eltern diese Frage schon einmal gestellt hast. Ich will dir Gründe nennen. Allen voran den einen Grund, von dem kaum einer spricht. Den einen Grund, von dem nur wenige wissen. Denn er steht auf keiner Liste und ist trotzdem der wichtigste von allen. Doch vorher muss dir dein Gehirn vorstellen:
1. Besiedelung und Umbau
In deinen ersten Lebensmonaten legt der Körper Möglichkeiten an. Du kannst dir das ungefähr so vorstellen: Eine neue Region soll besiedelt werden. Ein weiser Planer lässt zuerst einfache Straßen und Eisenbahnschienen in jede Region bauen. Diejenigen davon, die am meisten benutzt werden, werden perfektioniert. Diejenigen, die nicht benutzt werden, verfallen wieder. Manchmal recycelt der Körper das unbenutzte Baumaterial auch wieder. Du lernst Krabbeln, Laufen, Klettern, Hören, Sprechen. Lernst, aus welcher Richtung ein Ton kommt, kannst immer mehr und immer feinere Muster unterscheiden.
In der Pubertät durchläuft das Gehirn eine zweite große Bauphase. Jetzt wird renoviert. Stell dir dein Gehirn als eine Altbauwohnung vor. Nicht 80 oder 100 Jahre alt, nur 12. Wenn du ca. 18 Jahre alt bist, ist sie mit allem technischen Schnick-Schnack ausgerüstet, den du heute brauchst. Das Kinderzimmer gibt es nicht mehr. Stattdessen hast du ein Jugendzimmer und es hat schon alle Möglichkeiten, ein Erwachsenenzimmer zu sein.
Wie genau es aussieht bestimmst allein du selbst. Dein Gehirn ist zu allem bereit, aber es macht nur das, was du auch brauchst. Je komplexer und schwerer die Anforderungen, desto präziser wird geplant und gebaut: Steckdosen in jede Ecke. Kanäle für alle aktuellen und zukünftigen Leitungen. Dutzende von Türen oder Fenster.
Ist der Umbau abgeschlossen, ist weitestgehend darüber entschieden, wer du bist bzw. wer du sein kannst. Es steht fest, wie komplex du mühelos denken kannst. Wie viel Kraft und Zeit es dich kostet, Zusammenhänge zu verstehen und wie flexibel du verschiedene Bereiche deines Lebens miteinander in Beziehung setzen kannst. Es steht fest, wie viele Aspekte der Welt du (gleichzeitig) wahrnehmen kannst. Jeder weitere Ausbau wird dich später einen enormen Aufwand kosten.